Sur la France, l’Allemagne et l’Europe

Europa war längst vom multipolaren Wettbewerb beunruhigt und vom weltweiten Zusammenbruch der Kasino-Ökonomie getroffen, als die Finanzmärkte angriffen. Was geschah, glich der Fabel vom Frosch und dem Skorpion. Die neuen Skorpione strafen mit ihren Stichen die überschuldeten Staaten – gerade weil sie sich erfolgreich als Feuerwehr betätigt hatten.

Dennoch kann niemand bestreiten, dass es unumgänglich ist, die Staatsverschuldung in Europa in den Griff zu bekommen. Dass die Vereinigten Staaten sich in einer noch schlimmeren Lage befinden als viele europäische Staaten, tut nichts zur Sache. Wir müssen von dieser Defizitsucht loskommen, sonst, so sagt Jacques Attali, «werden wir in zehn Jahren alle ruiniert sein». Aber wie sollen wir das anstellen?

Unbehagen erwächst aus der Art, wie dieses Problem aufgetaucht ist und sich uns aufgedrängt hat; aus der konfliktträchtigen und behäbigen Reaktion der Europäer; aus der Rolle, die sich die EU-Kommission unter Ausnutzung der Situation anzueignen gedachte; aus der gegenwärtigen Haltung Deutschlands; aus dem Zustand der deutschfranzösischen Beziehungen; aus dem Charakter der Wirtschaftsregierung und der Wirtschaftspolitik, die sich daraus entwickeln könnten. Wer wird worüber entscheiden? Das muss geklärt werden.

Lassen wir die Epiloge über den Moloch Finanzmarkt beiseite: Dort findet man Gläubiger, die aufrichtig beunruhigt sind über die Unfähigkeit der Staaten, ihre Schulden zu bedienen, aber auch Ultraliberale, die ein Heilmittel zu besitzen glauben, dazu Spekulanten, denen die Folgen ihres Tuns für die Gesellschaft gleichgültig sind – und bei einigen von ihnen, im angelsächsischen Raum, zweifellos auch ein Vergnügen daran, den niemals ganz akzeptierten Euro zu erschüttern (obwohl die aktuelle Abwertung eher etwas Gutes hat). Im Idealfall sollte man den Finanzmärkten nichts schulden, vor allem dann nicht, wenn man die herrschende monetäre Ordnung in Unordnung bringt. Oder zumindest sollte man sie wieder regulieren. Bis dahin aber müssen wir die Realität so nehmen, wie sie ist.

Die Krise der vergangenen Wochen hat bei den immer noch zahlreichen Nostalgikern des Föderalismus wieder einmal die Hoffnung auf einen Glücksfall aufkommen lassen. Deren Annahme: Wir haben mit dem Euro eine Währung, die auf föderale Weise verwaltet wird. Dasselbe sollten wir nun mit der Wirtschaftspolitik tun. Aber was versteht man unter Föderalismus (oder Integration)? Das Wort «Föderalismus» kann zwei ganz verschiedene Bedeutungen haben.

Wenn die EU-Kommission unter dem Vorwand einer vorgängigen Prüfung der Haushaltsentwürfe, die ihr von den Regierungen vor einer ersten Lesung in den jeweiligen Parlamenten vorgelegt werden müssten, den Parlamenten die letzte Entscheidung abnähme, indem sie dekretierte, was akzeptabel ist und was nicht, dann wäre dies ein großer und überhasteter Sprung in einen Föderalismus, den die Europatechnokraten immer erhofft, die Völker aber niemals akzeptiert oder gar ratifiziert haben. Das wäre gesetz- und vertragswidrig. Damit wäre das letzte Band zwischen Europa und der Demokratie zerrissen. Die Regierungen der Euro-Zone dürfen das nicht billigen. Die von den 27 EU-Mitgliedstaaten im Juni getroffenen Abmachungen bleiben in diesem Punkt unklar.

Wenn umgekehrt die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten nur Kommentare und Empfehlungen zu den Haushaltsentwürfen abgäben oder sogar öffentliche Warnungen aussprächen und jede Regierung und jedes Parlament letztlich frei entschiede, so wäre dies nicht nur akzeptabel, sondern auch seit langem schon möglich gewesen. Die Paragraphen 103 und 109 des Vertrags von Maastricht sahen diese Möglichkeit vor. Hierbei handelt es sich um Koordination, und nicht um Föderalisierung. Weder wird die Souveränität ausgedünnt noch aufgegeben (zu wessen Gunsten?) und auch nicht übertragen. Sie würde gemeinschaftlich im Rahmen einer Föderation von Nationalstaaten ausgeübt.

Im Namen der Effizienz wird man behaupten, eine bloße Koordination sei im Vergleich zu einer idealisierten Föderation unwirksam. Aber in Wirklichkeit wurde das Verfahren noch nie erprobt. Es ist zu erwarten, dass der öffentliche Charakter der aus diesen öffentlichen Bewertungen erwachsenden Debatte schon in kurzer Zeit eine harmonisierende Wirkung ausübt.

Zwei Maßnahmen könnten diese Wirkung verstärken: Erstens die vollständige Harmonisierung der Zeitpläne für die Aufstellung, Beratung und Verabschiedung der Haushalte innerhalb der Euro-Zone. Das würde gewährleisten, dass alle Mitglieder die jeweiligen Etappen gleichzeitig durchlaufen und sie daher auch miteinander vergleichen und erörtern können. Zweitens eine öffentliche Bewertung durch die Kommission, und zwar nicht nur im Blick auf wie Fetische wirkende Kriterien, sondern in einem dynamischeren Sinne im Blick auf konvergierende oder divergierende Momente zwischen den Mitgliedstaaten.

Sollte eine Regierung oder ein Parlament beschließen, von den Empfehlungen der Kommission abzuweichen, würde dieses begründet werden müssen. Alles in allem kann es also nicht darum gehen, die Haushaltspolitik aus Schwäche oder Mangel an Selbstvertrauen der Kommission zu überlassen. Das Ziel bestünde vielmehr darin, unter den 16 Mitgliedern der Euro-Zone eine positive Dynamik öffentlichen und demokratischen Charakters zu schaffen. Der Versuch würde sich lohnen.

Doch im Augenblick sorgt nicht die EU-Kommission für Verwunderung, sondern eher Deutschland oder Bundeskanzlerin Merkel oder allgemeiner noch das deutsch-französische Verhältnis. Nachdem die Bundesregierung am 7. Mai den Vertrag über die bedingte Hilfe für Griechenland widerwillig unterschrieben hat, scheint Deutschland nun seine strengen Vorstellungen der gesamten Eurozone oder gar allen 27 EU-Mitgliedern aufzwingen zu wollen. Darüber muss offen und ernsthaft gesprochen werden.

Doch zunächst zu einigen ungerechten Vorwürfen an die Adresse Deutschlands. Es heißt, Deutschland handle «egoistisch». Na und? Verhalten sich die übrigen Länder etwa altruistisch? Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass jedes Land sich zunächst einmal um seine nationalen Interessen und die seiner Steuerzahler kümmert, vor allem wenn man der größte potentielle Zahler ist und die Geschichte nicht vergessen hat. Selbst Bundeskanzler Kohl handelte so. Nur darf das nicht dazu führen, dass man am Ende das gemeinsame europäische Interesse vergisst. Dasselbe gilt für die vermeintliche «Langsamkeit» der Deutschen: Griechenland war im Februar noch gar nicht bereit für den Vertrag vom Mai.

Dagegen bereiten die Überlegungen Deutschlands über eine «Wirtschaftsregierung», die fehlende Koordination der Entscheidungen und die deutsche Sparpolitik durchaus Probleme. Während Frau Merkel die Möglichkeit einer Wirtschaftsregierung für alle 27 Mitgliedstaaten am Ende zugestanden hat, lehnt sie dies für die 16 Staaten der Euro-Zone immer noch ab, und zwar mit zwei wenig überzeugenden Argumenten.

Erstens, man wolle die Zentralbank nicht schwächen. Aber warum wäre die Zentralbank «geschwächt», wenn die 16 Euro-Länder eine gemeinsame Wirtschaftspolitik betrieben? Zweitens, man wolle kein Europa der zwei Geschwindigkeiten schaffen. Dieses Europa gibt es längst. Einige (nämlich 16 Staaten) haben den Euro, andere (nämlich 11) haben ihn nicht. Diese Ablehnung einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik hat entweder ideologische Gründe, oder sie speist sich aus Hintergedanken. Jedenfalls will Bundeskanzlerin Merkel keinen Gipfel der 16 Euro-Staaten, es sein denn, dies wäre «notwendig». Also sollten wir ihr beweisen, dass ein solcher Gipfel notwendig ist, und machen wir auf diese ganz pragmatische Weise Fortschritte, ohne neue Institutionen zu schaffen.

Was die Koordination angeht, so hat Frau Merkel für Deutschland im Alleingang eine Sparpolitik beschlossen, deren ökonomischer Sinn die Vereinigten Staaten in Gestalt von Präsident Obama schon vor dem G-20-Gipfel in Zweifel gezogen haben, weil sie negative, das heißt deflationäre Auswirkungen haben kann. Mehrere andere Mitgliedstaaten haben gleichfalls nationale Sparprogramme angekündigt. Wenn Ausdrücke wie «Wirtschaftsregierung» oder «Koordination» einen Sinn haben sollen, müsste man sich vorher über all diese Dinge abstimmen und die Entscheidungen dann gemeinsam vorstellen und erklären, anstatt sie in panischer Hast im nationalen Alleingang zu treffen.

Man sollte unbedingt auch aufhören, über die «Wirtschaftsregierung» nur in einem negativ-repressiven Sinne zu sprechen. Gegenwärtig ist immer nur von Sparen, Kontrolle, Strafen, Sanktionen und Ausschluss die Rede. Wenn man die Euro-Zone am Ende nur noch als Besserungsanstalt wahrnimmt, wird man den Europagedanken in den Köpfen der Menschen töten. Wir sollten klarmachen, dass die Sanierung der Staatsfinanzen zwar notwendig, aber kein Ziel an sich ist. Und wir sollten eine Vision für die Zukunft entwickeln.

Deshalb wäre es auch ein schwerer Fehler, die Verhandlungen über die Verträge wiederaufzunehmen und damit die Büchse der Pandora zu öffnen – vor allem dann, wenn es allein darum ginge, die Sanktionen zu verschärfen.

Sollte es Frankreich nicht gelingen, die Deutschen zu veranlassen, auf diese Vorstellung zu verzichten, könnte Zug um Zug vorgeschlagen werden, die Aufgaben der Europäischen Zentralbank über die bloße Inflationsbekämpfung hinaus zu erweitern und das Prinzip einer Wirtschaftsregierung der Euro-Zone festzuschreiben. Und dann hieße es: verhandeln.

Frankreich verlangt zweifellos viel von Deutschland, aber auch Deutschland verlangt viel von seinen Partnern. Seit der Zeit von Bundeskanzler Schröder fordert Deutschland, dass bei der Festlegung der Stimmrechte im Europäischen Rat die Bevölkerungsgröße stärker berücksichtigt wird. Bundeskanzler Kohl hatte noch gesagt, dass man dies niemals verlangen werde. Aber genau das erreichte man im Europäischen Konvent und beendete damit die grundlegende Parität zwischen Deutschland, Frankreich, Italien (und Großbritannien). Das Gewicht Deutschlands im Europäischen Rat hat sich dadurch verdoppelt. Aber dadurch wächst dem Land auch eine besondere Verantwortung zu. Es kann nicht erwarten, sein Stabilitätsmodell, so ansehnlich und leistungsfähig es sein mag, auf ganz Europa auszudehnen (was im Übrigen die deutschen Exporte nach Europa verringerte). Deutschland muss akzeptieren, dass die Wirtschaftspolitik innerhalb der EU und der Euro-Zone das Ergebnis einer Synthese ist zwischen seiner verständlichen Kultur einer Inflationsabwehr wie auch des Abbaus von Haushaltsdefiziten und der absoluten Notwendigkeit eines neuen Wachstums für Europa. Akzeptieren muss Deutschland auch, dass diese Politik-Mischung veränderbar sein sollte, auf veränderte Situationen reagieren können muss und auch ein monetäres Element enthalten wird und dass sie auf globaler Ebene einen «gerechten Tausch» fördert.

Frankreich und Deutschland haben nur selten dieselben Ausgangspositionen. Schon das führt zu mancherlei Zwist. Doch Europa hat keine echte Alternative zu einer deutschfranzösischen Verständigung. Um diesen Beziehungen ihre unerlässliche Vitalität zurückzugeben, müssen wir vielleicht alles überdenken, die Grundlagen ebenso wie die Einstellungen. Da ich an mehr als hundert Begegnungen zwischen Kohl und Präsident Mitterrand und mit ihnen sowie mit Jacques Delors an Dutzenden Treffen des Europäischen Rates teilgenommen habe, wird man sich denken können, dass ich dies nicht leichtfertig schreibe. Aber alles in allem dürfte eine Besinnung auf die tragenden Pfeiler des deutsch-französischen Verhältnisses fruchtbarer sein, als weiter von offenen Meinungsverschiedenheiten zu halbherzigen Kompromissen zu stolpern, begleitet von öffentlich vorgetragenen, vom jeweiligen Partner übelgenommenen Mahnungen und – allein auf französischer Seite – von der rituellen, aber vergeblichen Beschwörung einer Wiederauferstehung des deutsch-französischen «Paars».

Es geht nicht darum, einen unkontrollierten öffentlichen Schlagabtausch vor den sich gerade bietenden Mikrofonen auszulösen, verschärft noch durch sprachlich bedingte Missverständnisse. Es geht darum, mit durchdachten und freimütigen Erklärungen aufzuwarten, zunächst an der Spitze und dann auf allen Ebenen. Das mag für den Augenblick zu einer Abkühlung des bilateralen Verhältnisses führen, die man aber in Kauf nehmen sollte, wenn es keine andere Möglichkeit gibt.

Natürlich wird man diese Prüfung nur deshalb auf sich nehmen müssen, damit die deutsch-französischen Beziehungen in noch stärkerem Maße auf dauerhaften historischen Kompromissen beruhen und so wieder als Motor der europäischen Politik fungieren können. Ich möchte hier niemandem Lehren erteilen. Ich weiß, wie schwierig das alles ist und dass die Beziehungen an der Spitze beständig sind. Aber das scheint nicht auszureichen. Wenn solch eine Debatte nützlich sein soll, muss das deutsch-französische Verhältnis auf einer «Vertrautheit» basieren, wie dies bei Helmut Schmidt und Valéry Giscard D’Estaing der Fall war. Und auf einem gemeinsamen Willen.

Eine solche Vertrautheit war zu jener Zeit wie auch zu Zeiten von Mitterrand und Kohl (oder Dumas und Genscher) ebenso wenig naturgegeben wie heute. Sie muss jeden Tag aufs Neue hergestellt und gefestigt werden, vor allem wenn sie konkrete Ergebnisse zeitigen soll. Damit die Synthese entsteht, bedarf es einer echten, umfassenden Debatte zwischen Ökonomen beider Länder, dann zwischen Politikern und schließlich mit den übrigen Europäern über Haushalte, Währung und Fiskalpolitik.

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir heute das Ende der westlichen Monopolstellung erleben und der multipolare Wettbewerb sich verstärkt. Wir müssen daher Europa zu einem dieser Pole machen – andernfalls wird es zu einem Protektorat.

So mag man daran erinnern, dass die wichtigsten Länder sich über die strategischen Ausrichtungen einigen müssen, wenn Europa weiterhin Gewicht haben soll: über die Regulierung der Finanzmärkte (hier scheint eine Einigung zwischen Frankreich und Deutschland und in manchen Punkten sogar mit England in Sicht), über die Umweltpolitik, über die Beziehungen zu Russland, zu China, zum Nahen und Mittleren Osten und auch zu den Vereinigten Staaten (dort sollte man die durch Obama gebotenen Chancen nutzen). Die Brüsseler Kommission könnte diese strategische Annäherung fördern, indem sie die zu überwindenden Divergenzen ohne Umschweife aufzeigt.

Es ist höchste Zeit, den dogmatischen Gegensatz zwischen «gemeinschaftsorientiertem» und «intergouvernementalem» Weg aufzugeben, an dem die letzten Föderalisten so halsstarrig festhalten. Keiner der beiden Wege hat jemals ohne den anderen funktioniert. Man wird weder den Vertrag noch die europäischen Realitäten austauschen können. Was können Catherine Ashton, Herman van Rompuy oder José Manuel Barroso ausrichten, wenn Frankreich und Deutschland und andere große Länder sich nicht einig sind? Im umgekehrten Fall können sie dagegen sehr viel ausrichten. Europa muss sich pragmatisch und zielstrebig in dieser Weise stärken.

Alles hängt miteinander zusammen: Der Neubeginn einer deutsch-französischen Verständigung, die die übrigen Partner mitnimmt; eine koordinierte Aktion im Rahmen der 16, der 27, der G 7, der G 20. Lassen wir uns vor allem nicht wieder auf institutionelle Streitereien ein! Wenn der deutsch-französische Motor wieder rund läuft, wird es den Europäern gelingen, Strategien und eine gemeinsame Politik zu entwickeln, auch wenn es gelegentlich Spannungen gibt. Das ist nur eine Frage des Willens.

Jedoch wird es entscheidend darauf ankommen, dass alles besser und nicht nur bruchstückhaft erklärt wird. Dass die unterschiedlichen Meinungen von politischen Führern innerhalb wie außerhalb ihres Landes vorgetragen werden, damit man weiß, wohin die Reise gehen soll. Dass die Parlamente über alle Fragen intensiv debattieren. Dass die neue Koordination sich ganz konkret zeigt, bei den G-20-Gipfeln und anderswo. Eine kohärente Euro-Zone ist der Hebel, den wir dafür brauchen. Alle anderen Szenarien sind beunruhigend.

Sur la France, l’Allemagne et l’Europe

Hubert Vedrine

Sur la France, l’Allemagne et l’Europe

Europa war längst vom multipolaren Wettbewerb beunruhigt und vom weltweiten Zusammenbruch der Kasino-Ökonomie getroffen, als die Finanzmärkte angriffen. Was geschah, glich der Fabel vom Frosch und dem Skorpion. Die neuen Skorpione strafen mit ihren Stichen die überschuldeten Staaten – gerade weil sie sich erfolgreich als Feuerwehr betätigt hatten.

Dennoch kann niemand bestreiten, dass es unumgänglich ist, die Staatsverschuldung in Europa in den Griff zu bekommen. Dass die Vereinigten Staaten sich in einer noch schlimmeren Lage befinden als viele europäische Staaten, tut nichts zur Sache. Wir müssen von dieser Defizitsucht loskommen, sonst, so sagt Jacques Attali, «werden wir in zehn Jahren alle ruiniert sein». Aber wie sollen wir das anstellen?

Unbehagen erwächst aus der Art, wie dieses Problem aufgetaucht ist und sich uns aufgedrängt hat; aus der konfliktträchtigen und behäbigen Reaktion der Europäer; aus der Rolle, die sich die EU-Kommission unter Ausnutzung der Situation anzueignen gedachte; aus der gegenwärtigen Haltung Deutschlands; aus dem Zustand der deutschfranzösischen Beziehungen; aus dem Charakter der Wirtschaftsregierung und der Wirtschaftspolitik, die sich daraus entwickeln könnten. Wer wird worüber entscheiden? Das muss geklärt werden.

Lassen wir die Epiloge über den Moloch Finanzmarkt beiseite: Dort findet man Gläubiger, die aufrichtig beunruhigt sind über die Unfähigkeit der Staaten, ihre Schulden zu bedienen, aber auch Ultraliberale, die ein Heilmittel zu besitzen glauben, dazu Spekulanten, denen die Folgen ihres Tuns für die Gesellschaft gleichgültig sind – und bei einigen von ihnen, im angelsächsischen Raum, zweifellos auch ein Vergnügen daran, den niemals ganz akzeptierten Euro zu erschüttern (obwohl die aktuelle Abwertung eher etwas Gutes hat). Im Idealfall sollte man den Finanzmärkten nichts schulden, vor allem dann nicht, wenn man die herrschende monetäre Ordnung in Unordnung bringt. Oder zumindest sollte man sie wieder regulieren. Bis dahin aber müssen wir die Realität so nehmen, wie sie ist.

Die Krise der vergangenen Wochen hat bei den immer noch zahlreichen Nostalgikern des Föderalismus wieder einmal die Hoffnung auf einen Glücksfall aufkommen lassen. Deren Annahme: Wir haben mit dem Euro eine Währung, die auf föderale Weise verwaltet wird. Dasselbe sollten wir nun mit der Wirtschaftspolitik tun. Aber was versteht man unter Föderalismus (oder Integration)? Das Wort «Föderalismus» kann zwei ganz verschiedene Bedeutungen haben.

Wenn die EU-Kommission unter dem Vorwand einer vorgängigen Prüfung der Haushaltsentwürfe, die ihr von den Regierungen vor einer ersten Lesung in den jeweiligen Parlamenten vorgelegt werden müssten, den Parlamenten die letzte Entscheidung abnähme, indem sie dekretierte, was akzeptabel ist und was nicht, dann wäre dies ein großer und überhasteter Sprung in einen Föderalismus, den die Europatechnokraten immer erhofft, die Völker aber niemals akzeptiert oder gar ratifiziert haben. Das wäre gesetz- und vertragswidrig. Damit wäre das letzte Band zwischen Europa und der Demokratie zerrissen. Die Regierungen der Euro-Zone dürfen das nicht billigen. Die von den 27 EU-Mitgliedstaaten im Juni getroffenen Abmachungen bleiben in diesem Punkt unklar.

Wenn umgekehrt die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten nur Kommentare und Empfehlungen zu den Haushaltsentwürfen abgäben oder sogar öffentliche Warnungen aussprächen und jede Regierung und jedes Parlament letztlich frei entschiede, so wäre dies nicht nur akzeptabel, sondern auch seit langem schon möglich gewesen. Die Paragraphen 103 und 109 des Vertrags von Maastricht sahen diese Möglichkeit vor. Hierbei handelt es sich um Koordination, und nicht um Föderalisierung. Weder wird die Souveränität ausgedünnt noch aufgegeben (zu wessen Gunsten?) und auch nicht übertragen. Sie würde gemeinschaftlich im Rahmen einer Föderation von Nationalstaaten ausgeübt.

Im Namen der Effizienz wird man behaupten, eine bloße Koordination sei im Vergleich zu einer idealisierten Föderation unwirksam. Aber in Wirklichkeit wurde das Verfahren noch nie erprobt. Es ist zu erwarten, dass der öffentliche Charakter der aus diesen öffentlichen Bewertungen erwachsenden Debatte schon in kurzer Zeit eine harmonisierende Wirkung ausübt.

Zwei Maßnahmen könnten diese Wirkung verstärken: Erstens die vollständige Harmonisierung der Zeitpläne für die Aufstellung, Beratung und Verabschiedung der Haushalte innerhalb der Euro-Zone. Das würde gewährleisten, dass alle Mitglieder die jeweiligen Etappen gleichzeitig durchlaufen und sie daher auch miteinander vergleichen und erörtern können. Zweitens eine öffentliche Bewertung durch die Kommission, und zwar nicht nur im Blick auf wie Fetische wirkende Kriterien, sondern in einem dynamischeren Sinne im Blick auf konvergierende oder divergierende Momente zwischen den Mitgliedstaaten.

Sollte eine Regierung oder ein Parlament beschließen, von den Empfehlungen der Kommission abzuweichen, würde dieses begründet werden müssen. Alles in allem kann es also nicht darum gehen, die Haushaltspolitik aus Schwäche oder Mangel an Selbstvertrauen der Kommission zu überlassen. Das Ziel bestünde vielmehr darin, unter den 16 Mitgliedern der Euro-Zone eine positive Dynamik öffentlichen und demokratischen Charakters zu schaffen. Der Versuch würde sich lohnen.

Doch im Augenblick sorgt nicht die EU-Kommission für Verwunderung, sondern eher Deutschland oder Bundeskanzlerin Merkel oder allgemeiner noch das deutsch-französische Verhältnis. Nachdem die Bundesregierung am 7. Mai den Vertrag über die bedingte Hilfe für Griechenland widerwillig unterschrieben hat, scheint Deutschland nun seine strengen Vorstellungen der gesamten Eurozone oder gar allen 27 EU-Mitgliedern aufzwingen zu wollen. Darüber muss offen und ernsthaft gesprochen werden.

Doch zunächst zu einigen ungerechten Vorwürfen an die Adresse Deutschlands. Es heißt, Deutschland handle «egoistisch». Na und? Verhalten sich die übrigen Länder etwa altruistisch? Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass jedes Land sich zunächst einmal um seine nationalen Interessen und die seiner Steuerzahler kümmert, vor allem wenn man der größte potentielle Zahler ist und die Geschichte nicht vergessen hat. Selbst Bundeskanzler Kohl handelte so. Nur darf das nicht dazu führen, dass man am Ende das gemeinsame europäische Interesse vergisst. Dasselbe gilt für die vermeintliche «Langsamkeit» der Deutschen: Griechenland war im Februar noch gar nicht bereit für den Vertrag vom Mai.

Dagegen bereiten die Überlegungen Deutschlands über eine «Wirtschaftsregierung», die fehlende Koordination der Entscheidungen und die deutsche Sparpolitik durchaus Probleme. Während Frau Merkel die Möglichkeit einer Wirtschaftsregierung für alle 27 Mitgliedstaaten am Ende zugestanden hat, lehnt sie dies für die 16 Staaten der Euro-Zone immer noch ab, und zwar mit zwei wenig überzeugenden Argumenten.

Erstens, man wolle die Zentralbank nicht schwächen. Aber warum wäre die Zentralbank «geschwächt», wenn die 16 Euro-Länder eine gemeinsame Wirtschaftspolitik betrieben? Zweitens, man wolle kein Europa der zwei Geschwindigkeiten schaffen. Dieses Europa gibt es längst. Einige (nämlich 16 Staaten) haben den Euro, andere (nämlich 11) haben ihn nicht. Diese Ablehnung einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik hat entweder ideologische Gründe, oder sie speist sich aus Hintergedanken. Jedenfalls will Bundeskanzlerin Merkel keinen Gipfel der 16 Euro-Staaten, es sein denn, dies wäre «notwendig». Also sollten wir ihr beweisen, dass ein solcher Gipfel notwendig ist, und machen wir auf diese ganz pragmatische Weise Fortschritte, ohne neue Institutionen zu schaffen.

Was die Koordination angeht, so hat Frau Merkel für Deutschland im Alleingang eine Sparpolitik beschlossen, deren ökonomischer Sinn die Vereinigten Staaten in Gestalt von Präsident Obama schon vor dem G-20-Gipfel in Zweifel gezogen haben, weil sie negative, das heißt deflationäre Auswirkungen haben kann. Mehrere andere Mitgliedstaaten haben gleichfalls nationale Sparprogramme angekündigt. Wenn Ausdrücke wie «Wirtschaftsregierung» oder «Koordination» einen Sinn haben sollen, müsste man sich vorher über all diese Dinge abstimmen und die Entscheidungen dann gemeinsam vorstellen und erklären, anstatt sie in panischer Hast im nationalen Alleingang zu treffen.

Man sollte unbedingt auch aufhören, über die «Wirtschaftsregierung» nur in einem negativ-repressiven Sinne zu sprechen. Gegenwärtig ist immer nur von Sparen, Kontrolle, Strafen, Sanktionen und Ausschluss die Rede. Wenn man die Euro-Zone am Ende nur noch als Besserungsanstalt wahrnimmt, wird man den Europagedanken in den Köpfen der Menschen töten. Wir sollten klarmachen, dass die Sanierung der Staatsfinanzen zwar notwendig, aber kein Ziel an sich ist. Und wir sollten eine Vision für die Zukunft entwickeln.

Deshalb wäre es auch ein schwerer Fehler, die Verhandlungen über die Verträge wiederaufzunehmen und damit die Büchse der Pandora zu öffnen – vor allem dann, wenn es allein darum ginge, die Sanktionen zu verschärfen.

Sollte es Frankreich nicht gelingen, die Deutschen zu veranlassen, auf diese Vorstellung zu verzichten, könnte Zug um Zug vorgeschlagen werden, die Aufgaben der Europäischen Zentralbank über die bloße Inflationsbekämpfung hinaus zu erweitern und das Prinzip einer Wirtschaftsregierung der Euro-Zone festzuschreiben. Und dann hieße es: verhandeln.

Frankreich verlangt zweifellos viel von Deutschland, aber auch Deutschland verlangt viel von seinen Partnern. Seit der Zeit von Bundeskanzler Schröder fordert Deutschland, dass bei der Festlegung der Stimmrechte im Europäischen Rat die Bevölkerungsgröße stärker berücksichtigt wird. Bundeskanzler Kohl hatte noch gesagt, dass man dies niemals verlangen werde. Aber genau das erreichte man im Europäischen Konvent und beendete damit die grundlegende Parität zwischen Deutschland, Frankreich, Italien (und Großbritannien). Das Gewicht Deutschlands im Europäischen Rat hat sich dadurch verdoppelt. Aber dadurch wächst dem Land auch eine besondere Verantwortung zu. Es kann nicht erwarten, sein Stabilitätsmodell, so ansehnlich und leistungsfähig es sein mag, auf ganz Europa auszudehnen (was im Übrigen die deutschen Exporte nach Europa verringerte). Deutschland muss akzeptieren, dass die Wirtschaftspolitik innerhalb der EU und der Euro-Zone das Ergebnis einer Synthese ist zwischen seiner verständlichen Kultur einer Inflationsabwehr wie auch des Abbaus von Haushaltsdefiziten und der absoluten Notwendigkeit eines neuen Wachstums für Europa. Akzeptieren muss Deutschland auch, dass diese Politik-Mischung veränderbar sein sollte, auf veränderte Situationen reagieren können muss und auch ein monetäres Element enthalten wird und dass sie auf globaler Ebene einen «gerechten Tausch» fördert.

Frankreich und Deutschland haben nur selten dieselben Ausgangspositionen. Schon das führt zu mancherlei Zwist. Doch Europa hat keine echte Alternative zu einer deutschfranzösischen Verständigung. Um diesen Beziehungen ihre unerlässliche Vitalität zurückzugeben, müssen wir vielleicht alles überdenken, die Grundlagen ebenso wie die Einstellungen. Da ich an mehr als hundert Begegnungen zwischen Kohl und Präsident Mitterrand und mit ihnen sowie mit Jacques Delors an Dutzenden Treffen des Europäischen Rates teilgenommen habe, wird man sich denken können, dass ich dies nicht leichtfertig schreibe. Aber alles in allem dürfte eine Besinnung auf die tragenden Pfeiler des deutsch-französischen Verhältnisses fruchtbarer sein, als weiter von offenen Meinungsverschiedenheiten zu halbherzigen Kompromissen zu stolpern, begleitet von öffentlich vorgetragenen, vom jeweiligen Partner übelgenommenen Mahnungen und – allein auf französischer Seite – von der rituellen, aber vergeblichen Beschwörung einer Wiederauferstehung des deutsch-französischen «Paars».

Es geht nicht darum, einen unkontrollierten öffentlichen Schlagabtausch vor den sich gerade bietenden Mikrofonen auszulösen, verschärft noch durch sprachlich bedingte Missverständnisse. Es geht darum, mit durchdachten und freimütigen Erklärungen aufzuwarten, zunächst an der Spitze und dann auf allen Ebenen. Das mag für den Augenblick zu einer Abkühlung des bilateralen Verhältnisses führen, die man aber in Kauf nehmen sollte, wenn es keine andere Möglichkeit gibt.

Natürlich wird man diese Prüfung nur deshalb auf sich nehmen müssen, damit die deutsch-französischen Beziehungen in noch stärkerem Maße auf dauerhaften historischen Kompromissen beruhen und so wieder als Motor der europäischen Politik fungieren können. Ich möchte hier niemandem Lehren erteilen. Ich weiß, wie schwierig das alles ist und dass die Beziehungen an der Spitze beständig sind. Aber das scheint nicht auszureichen. Wenn solch eine Debatte nützlich sein soll, muss das deutsch-französische Verhältnis auf einer «Vertrautheit» basieren, wie dies bei Helmut Schmidt und Valéry Giscard D’Estaing der Fall war. Und auf einem gemeinsamen Willen.

Eine solche Vertrautheit war zu jener Zeit wie auch zu Zeiten von Mitterrand und Kohl (oder Dumas und Genscher) ebenso wenig naturgegeben wie heute. Sie muss jeden Tag aufs Neue hergestellt und gefestigt werden, vor allem wenn sie konkrete Ergebnisse zeitigen soll. Damit die Synthese entsteht, bedarf es einer echten, umfassenden Debatte zwischen Ökonomen beider Länder, dann zwischen Politikern und schließlich mit den übrigen Europäern über Haushalte, Währung und Fiskalpolitik.

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir heute das Ende der westlichen Monopolstellung erleben und der multipolare Wettbewerb sich verstärkt. Wir müssen daher Europa zu einem dieser Pole machen – andernfalls wird es zu einem Protektorat.

So mag man daran erinnern, dass die wichtigsten Länder sich über die strategischen Ausrichtungen einigen müssen, wenn Europa weiterhin Gewicht haben soll: über die Regulierung der Finanzmärkte (hier scheint eine Einigung zwischen Frankreich und Deutschland und in manchen Punkten sogar mit England in Sicht), über die Umweltpolitik, über die Beziehungen zu Russland, zu China, zum Nahen und Mittleren Osten und auch zu den Vereinigten Staaten (dort sollte man die durch Obama gebotenen Chancen nutzen). Die Brüsseler Kommission könnte diese strategische Annäherung fördern, indem sie die zu überwindenden Divergenzen ohne Umschweife aufzeigt.

Es ist höchste Zeit, den dogmatischen Gegensatz zwischen «gemeinschaftsorientiertem» und «intergouvernementalem» Weg aufzugeben, an dem die letzten Föderalisten so halsstarrig festhalten. Keiner der beiden Wege hat jemals ohne den anderen funktioniert. Man wird weder den Vertrag noch die europäischen Realitäten austauschen können. Was können Catherine Ashton, Herman van Rompuy oder José Manuel Barroso ausrichten, wenn Frankreich und Deutschland und andere große Länder sich nicht einig sind? Im umgekehrten Fall können sie dagegen sehr viel ausrichten. Europa muss sich pragmatisch und zielstrebig in dieser Weise stärken.

Alles hängt miteinander zusammen: Der Neubeginn einer deutsch-französischen Verständigung, die die übrigen Partner mitnimmt; eine koordinierte Aktion im Rahmen der 16, der 27, der G 7, der G 20. Lassen wir uns vor allem nicht wieder auf institutionelle Streitereien ein! Wenn der deutsch-französische Motor wieder rund läuft, wird es den Europäern gelingen, Strategien und eine gemeinsame Politik zu entwickeln, auch wenn es gelegentlich Spannungen gibt. Das ist nur eine Frage des Willens.

Jedoch wird es entscheidend darauf ankommen, dass alles besser und nicht nur bruchstückhaft erklärt wird. Dass die unterschiedlichen Meinungen von politischen Führern innerhalb wie außerhalb ihres Landes vorgetragen werden, damit man weiß, wohin die Reise gehen soll. Dass die Parlamente über alle Fragen intensiv debattieren. Dass die neue Koordination sich ganz konkret zeigt, bei den G-20-Gipfeln und anderswo. Eine kohärente Euro-Zone ist der Hebel, den wir dafür brauchen. Alle anderen Szenarien sind beunruhigend.

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16/07/2010